Gibraltar 2014

Strasse von Gibraltar 22.6.2014

 

Das grosse Zittern

 

von Christian Binner

 

 

2013, und nicht vor Juli oder August wollte ich die Querung der Straße von Gibraltar angehen. Am Ende ging ich am 22. Juni 2014 11:56 Uhr MEZ an der afrikanischen Küste an Land. Etliche E-Mail-Wechsel, ungünstige Wetterlagen und  langes Warten lagen zwischen meinem ersten Kontakt mit dem spanischen Veranstalter und den letzten Kraulzügen in der Straße von Gibraltar.


Jetzt aber von Anfang an: Wie bereitet man sich vor, wenn man weiß, dass ein Großteil der Vorbereitungszeit außerhalb der Freiwassersaison liegt?
Meinen Plan, ab November 2013 die Trainingsumfänge deutlich auszuweiten, konnte ich wegen meiner Arbeit mit Schichtdienst und unregelmäßigen Arbeitszeiten bis zum Juni 2014 nicht umsetzen. Ich verlegte das Training  der Grundlagenausdauer auf andere Sportarten wie Laufen und Radfahren. Hier kam mir das wöchentliche Mountainbike Fahren sehr entgegen. Bei jeder Tour fuhr ich ca. 4 Stunden einfache Strecken. Dabei war die Belastung mit Pulswerten um 100 Schläge /min nicht sonderlich hoch.


Trotzdem gelang es mir in sieben Monaten nicht, eine ausreichende Anzahl von Schwimmkilometern zurück zu legen. Nur zu regulären Trainingszeiten ging ich schwimmen und trainierte im Durchschnitt 4 km intensiv. Es liegt mir nicht, morgens vor der Arbeit ins öffentliche Bad zu gehen, um dort 5km zu schwimmen. Bereits im Februar war mir klar, dass ich die für diese Strecke notwendigen Umfänge nicht trainieren konnte.  Mir blieb nur das Vertrauen auf meine Erfahrung und den Willen zum Durchhalten. Insgesamt bin ich von Januar bis Juni 2014 220km geschwommen.


Der Flug und die Ferienwohnung wurden im Januar gebucht. Eine Woche vor der Anreise bekam Beate endlich die Zusage für ihre Freistellung und so konnte das Abenteuer beginnen.
Am Samstag, den 21.6., reisten Beate und ich über Malaga nach Tarifa, wo wir um 14 Uhr unsere Ferienwohnung bezogen. Vereinskamerad Robert sollte zwei Tage später nachkommen. Der erste mögliche Tag meines Schwimmens sollte laut  Absprache mit dem Veranstalter Rafael Muza Montag, der 23.6 sein. In der der letzten E-Mail hatte er auch geschrieben, dass ich mich sobald ich im Lande bin, melden solle. Genau dies tat ich kurz nach unserer Ankunft. Ich dachte, es wäre gut, den Veranstalter kennen zu lernen und einige Details zu klären. Der Anruf war dann sehr kurz:


Rafael: „How are you?“
Christian: „Fine.“
R.: „Are you fit?“
Ch. „Yes.“
R.: “When the Weather is good you can swim tomorrow.”
Ch.: “Äh, uh…, OK!”
R.: „Call me after 6 pm…“


Wir begannen sofort mit den Vorbereitungen.
Als erstes zog es mich ins Wasser. Von unserer Wohnung hatten wir einen herrlichen Blick auf einen beeindruckenden Strand in der Bucht von Tarifa. Dorthin gingen wir sofort. Der erste Kontakt mit dem Meer war dann recht kühl. Das Thermometer meiner Uhr zeigte knapp 20 Grad, mein Gefühl einiges darunter, aber machbar.


19 Uhr erhielt ich per SMS die Zusage, dass ich schwimmen kann: Treffpunkt 6:45 Uhr im Hafen von Tarifa, Schwimmstart 7:30 Uhr. Nach erstaunlich ruhigem Schlaf und einem kurzem Frühstück machten wir uns gut ausgerüstet auf zum Hafen. Es dämmerte gerade. Kurz nach uns erschienen wie vereinbart Rafael und seine zwei Bootsbesatzungen. Und nach einer kurzen Unterweisung bereitete ich mich vor.

 

 

 

 

 

 

 

Der Schwimmer wird bei der Querung von zwei Booten begleitet. Ein Motorboot fährt voraus und gibt Richtung und Mindestgeschwindigkeit vor. Das zweite Boot mit den Begleitern des Schwimmers bleibt während des Schwimmens immer nah an Seite. Da mein Schwimmen zwei Tage früher als geplant stattfand, betreute mich Beate allein. Robert sollte erst nach dem Schwimmen kommen.
Das große Boot fuhr mich aus dem Hafengelände zur nahe gelegenen „Isla Tarifa“. Das Schwimmen beginnt immer am Ufer dieser Insel. Ich musste ins Wasser springen, bis zur Insel schwimmen und dort die Felsen berühren. Vom Begleitboot ertönte der Startpfiff und ich schwamm los. Doch ich greife vorweg. Denn während meines Sprungs Wasser erlebte ich eine Überraschung: von den 20 Grad am Vortag, am schönen Sandstrand  auf der anderen Seite der Stadt, waren am Morgen leider nicht alle angetreten. Weil mich am Vortag schon eine Ahnung beschlich, hatte  ich mich vorher bei Beate abgesichert: „Wenn ich wegen Kälte aufgeben möchte und Du das zulässt, dann trenne ich mich von Dir!“
Meine Gedanken nach dem Start drehten sich fast ausschließlich um das kalte Wasser.
„Wie kalt mag es wohl wirklich sein?“
„Wie wird das Wasser in der Mitte der Straße wenn es hier schon kalt ist?“
Was dem Wasser an Temperatur fehlte, machte das Wetter mit anfangs kompletter Windstille etwas wett. „Was soll all das Grübeln“, dachte ich mir, „mach das, wofür Du hier bist: schwimm weiter“. Das Wasser hatte eine Temperatur von 16 Grad, wovon mich Beate absichtlich in Unkenntnis ließ. Nach 30 Minuten kamen sie dann doch: Wind und Wellen. So stark, dass ich kaum einen Rhythmus zum Schwimmen fand. Ich änderte meine Schwimmtechnik. Ich gab den hohen Ellenbogen auf und ließ die Hand den Arm führen ließ. Mit stärkerer Rotation um die Körperachse konnte ich das ständige Ausheben durch die Wellen mindern.


Die Verpflegung hatte ich mit Beate für alle 30 Minuten vereinbart. So würde ich automatisch wissen wie lange ich unterwegs bin. Um die Verpflegungszeiten kurz zu halten, hatte ich mir außerdem ausgedacht, die Gel-Packung direkt mit dem Trinkwasser zu mischen. Nach 1,5 Stunden hatte ich dann meine Krise. Vor lauter Zittern konnte ich die Flasche kaum in der Hand halten. Es gelang mir nicht, die geplante Menge Flüssigkeit zu mir zu nehmen. Nach zwei Schlucken ging nichts mehr. Beate erkannt das rechtzeitig und reichte mir bis zum Ende des Schwimmens das Gel getrennt vom Wasser.
Etwa zur gleichen Zeit rief mir der spanische Bootsführer aufmunternd zu, dass ich ja schon 1/3 der Strecke geschafft hätte. Was als Aufmunterung gemeint war, machte mir klar, dass ich wohl ungefähr 5 Stunden bei diesen Temperaturen aushalten müsste. Allerdings teilte man mir dann bei der nächsten Verpflegung mit, dass ich bereits die Hälfte geschafft hätte. Wie es zugehen kann, nach 1,5 Stunden 1/3 der Strecke und bereits 30 Minuten später die Hälfte geschwommen zu sein, ist mir bis heute nicht klar. An diesem Punkt hatte ich das Schlimmste aber bereits hinter mir. Die Wassertemperatur hatte sich in der Mitte der Straße auf 17 Grad erhöht. Bis zum Ende stieg es sogar noch auf unglaubliche 18 Grad an.

 

 

 

 

 

 

Der Wellengang ließ nach und ich wusste, ich würde es schaffen. Und obwohl die Kälte präsent war, hatte sie mich nicht mehr im Griff. Ich war nach drei Stunden zwar konditionell am Ende, damit hatte ich aber auf Grund meiner geringen Vorbereitung gerechnet. Das konnte ich ausgleichen, indem ich meine Zugfrequenz reduzierte, ohne die Zuglänge zu verkürzen. Als sich nach vier Stunden am Ufer Konturen der Küstenlinie abzeichneten und erste Details zu erkennen waren, wusste ich, dass es bald geschafft sein würde. In den letzten 30 Minuten konnte ich dann das Schwimmen endlich genießen.
Nach 4 Stunden und 26 Minuten war es geschafft. Ich erreichte nach 17,5km die marokkanische Küste.


Bei meinem Schwimmen hatte ich noch andere Begleiter als die beiden Boote. Eine Delfinfamilie hat sich dem Boot von Beate bis auf wenige Meter genähert, während ein Buckelwal ein imposantes Schauspiel aus Atmen und Abtauchen zum Besten gab. Mir blieben diese Schauspiele leider verborgen.
Auch wenn bei dieser Querung die Kälte mein größter Gegner war, möchte ich die positiven Aspekte nicht unerwähnt lassen:

 

  • Der hohe Salzgehalt des Wassers erzeugt beim Schwimmen einen hohen Auftrieb, wodurch man mehr Kraft für den Vortrieb hat.
  • Die Qualität des Wassers war während der gesamten Querung einwandfrei. Weder treibende Pflanzenreste noch Schwebeteilchen trübten das Wasser.
  • Meine Schwimmbrille saß perfekt und beschlug nicht.
  • An keiner Stelle meines Körpers scheuerte ich mich während des Schwimmens wund.
  • Bis auf Schmerzen in den Leisten hatte ich über die gesamte Distanz keine muskulären Probleme.
  • Ich war die gesamte Distanz voll konzentriert und konnte mich sehr gut orientieren.
  • Die Sonne kam von links. Da ich rechts atme, war das für mich perfekt.
  • Das Durchschwimmen der beiden großen Fahrrinnen verlief ohne Probleme. Vor mir tat sich beide Male eine große Lücke auf. Erstaunlich, wenn man sonst den Verkehr auf der Straße von Gibraltar beobachtet. Vom Überqueren der Fahrrinnen habe ich nichts mitbekommen.

„Hast Du das Schwimmen genossen?“ wurde ich einige Tage danach gefragt. Lange Zeit fand ich darauf keine Antwort. Aber eigentlich müsste sie lauten: „Nein“.  Ich bin stolz, diese Herausforderung gemeistert zu haben. Das Schwimmen von solchen Distanzen gehört jedoch nicht zu meinen Stärken. Auf Grund der fehlenden Trainingsumfänge und meiner geringen Widerstandsfähigkeit gegen Wassertemperaturen unter 20 Grad habe ich das nur mit starkem Willen geschafft.  Andere Schwimmer mit besseren biologischen Voraussetzungen –„You need the grease in, not on your body“ Zitat Rafael Muza–  werden meinen Bericht sicher belächeln. Meine Ehrfurcht gilt den Kanalschwimmern!
Mein Dank gilt Beate, die immer an meiner Seite war und meinen Freunden, vor allem meiner Trainingsgruppe des Berliner TSC, die mich bei der Vorbereitung unterstützt hat.


Zusammenfassende Informationen zum Schwimmen in der „Strait Of Gibraltar“:

  • Die Anmeldung für einen Startplatz benötigt ca. 2 Jahre Vorlauf. Veranstalter Rafael Meza ist unkompliziert und spricht leidlich englisch. Die Kommunikation per Email läuft  gut, die Antwort dauert meist 1- 2 Tage.
  • Kosten (2014): 1800 €. Dafür bekommt man eine Art All Inclusive Paket. Darin enthalten sind Kosten für zwei Boote und Bootsführer, alle Genehmigungen der Küstenwachen, spanischen und marokkanischen Behörden, Zertifikat. Gezahlt werden 20% als Anzahlung  per Überweisung, den Rest in bar vor Ort. Man muss nicht Mitglied in einer Association (wie im Channel) werden und hat damit alle Kosten, die unmittelbar mit dem Schwimmen zusammenhängen, abgedeckt.
  • Man muss auch ein medizinisches Attest nachweisen. Den Vordruck dafür findet man im Netz. Die Anforderungen dafür halten sich in Grenzen.
  • Die Schwimmdistanz beträgt 15-19 km je nach Strömung und Wind. (Ich hatte Wind aus westlicher Richtung Stärke 3 und ebensolchen Wellengang.)
  • Neopren ist möglich. Es kann auch kurz vor dem Start fest gelegt werden
  • Badebekleidung beim Schwimmen ähnlich wie die aktuellen FINA Regeln für das Becken (max Jammer bei Männern). Einschmieren kann man sich womit und wieviel man möchte. Ich habe nur Sonnencreme LSF 50 genommen.
  • Kommunikation mit und zwischen den Booten läuft sehr gut (geschwommene und verbleibende Entfernung wird angesagt). Die Bootsbesatzung ist sehr aufmerksam und erfahren (Unterwegs gab es Kaffee und Kuchen –  für alle die nicht gerade im Wasser weilten.) Auf dem Zertifikat sind Schwimmstrecke, Zeiten, Temperaturen, Windstärke u.a. eingetragen.
  • Wichtig: Reisepass mitnehmen. Marokko ist kein EU Mitglied. Der Pass kommt auf das große Boot und kann evtl. durch die marokkanische Küstenwache kontrolliert werden. Diese hat mein Schwimmen registriert und meine Daten vom Boot während des Schwimmens angefordert. Die Kopie des Passes muss vorher beim Veranstalter vorliegen.

 


Christian Binner
Berlin, im Juli 2014